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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 03.04.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 33/01
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 19 Abs. 1
StVollzG § 19 Abs. 2
StVollzG § 83 Abs. 1
Leitsatz

1.) Die Kriterien für die Zustimmung der Vollzugsbehörde zur Überlassung von Sachen an den Gefangenen gem. § 83 Abs.1 StVollzG richten sich nach den Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes, deren Regelkreis von dem Gewahrsam an der jeweiligen Sache berührt wird. Bei dem Ausstattungsgegenstand "Bettwäsche" sind daher die in § 19 StVollzG genannten Kriterien maßgebend.

2.) Bei den in § 19 Abs.2 StVollzG genannten Kriterien "Sicherheit und Ordnung der Anstalt" handelt es sich um gerichtlich voll überprüfbare unbestimmte Rechtsbegriffe, die die Vollzugsbehörde, aber auch die Strafvollstreckungskammer als gerichtliche Tatsacheninstanz ausfüllen müssen.

3.) Die Benutzung privater Bettwäsche durch Strafgefangene gefährdet weder die Sicherheit noch die Ordnung der Anstalt, wenn ihre Genehmigung den gleichen Voraussetzungen unterliegt wie das Tragen von Privatkleidung durch Strafgefangene.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03. April 2001 - 3 Ws 33/01 -


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 3. Strafsenat

3 Ws 33/01

Strafsache gegen

in der Justizvollzugsanstalt X.

hier: Rechtsbeschwerde nach § 116 StVollzG

Beschluss vom 03. April 2001

Tenor:

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - X. vom 03. Januar 2001 aufgehoben.

2. Die Vollzugsbehörde wird verpflichtet, dem Verurteilten die Benutzung privater Bettwäsche im Haftraum zu genehmigen, sofern dieser einen Antrag gemäß Anlage 1 zur Verfügung des Anstaltsleiters vom 03.08.1999 unterzeichnet hat.

3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Verurteilten.

4. Der Gegenstandswert wird auf DM 300 festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit Schreiben vom 16.01.1999 beantragte der Verurteilte "nochmals" die Genehmigung privater Bettwäsche (2 Laken, 2 Bettbezüge, 2 Kopfkissenbezüge). Am 18.01.1999 genehmigte der seinerzeit stellvertretende Abteilungsdienstleiter der JVA X. dem Verurteilten den Besitz privater Bettwäsche. Auf weitere Nachfrage des Verurteilten wurde dieser am 03.02.1999 darauf hingewiesen, dass ihm die Genehmigung für private Bettwäsche bereits erteilt worden sei. Nach wiederholten Nachfragen vom 09.02.1999 und 11.02.1999 nach der Bettwäsche wurde dem Verurteilten am 12.02.1999 durch die zuständige Abteilungsleiterin mitgeteilt, die Genehmigung privater Bettwäsche sei nochmals geprüft worden und habe widerrufen werden müssen; eine erneute Genehmigung könne nur erteilt werden, wenn ein ärztliches Attest vorliege. Unter dem 15.02.1999 wurde der medizinische Dienst gebeten zu prüfen, ob eine Aushändigung privater Bettwäsche aus medizinischer Sicht notwendig sei, worauf die Anstaltsärztin unter dem 19.02.1999 mitteilte, dass hierüber erst nach einem Allergietest entschieden werden könne. Eine Untersuchung durch einen Allergologen lehnte der Verurteilte jedoch am 08.03.1999 und am 12.04.1999 mit der Begründung ab, das sei so mit dem Arzt abgesprochen. Mit Schreiben vom 12.02.1999 legte der Verurteilte gegen den Widerruf der Genehmigung Beschwerde ein und wiederholte diese mit Schreiben vom 22.02. und vom 27.02.1999.

Das Justizministerium wies die Beschwerde des Verurteilten mit Bescheid vom 17.05.2000 zurück und stellte fest, die zunächst erteilte Genehmigung privater Bettwäsche sei rechtswidrig gewesen. Der gemäß § 48 LVwVfG erfolgte Widerruf sei daher rechtmäßig. Nach Zustellung dieses Bescheides am 31.05.2000 beantragte der Verurteilte mit am 06.06.2000 beim Landgericht X. eingegangenem Schreiben richterliche Entscheidung.

Mit Beschluss vom 03.01.2001 verwarf das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - X. den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Justizministeriums als unbegründet. Es führte u.a. aus, dass durch Allgemeinverfügung der Justizvollzugsanstalt X. vom 04.02.1997 in Verbindung mit der Hausordnung geregelt sei, welche Gegenstände der einzelne Gefangene auf seinem Haftraum besitzen darf. Private Bettwäsche sei hier zwar nicht erwähnt, jedoch enthalte Nr. 7 der Verfügung den Hinweis, dass die getroffene Anordnung eine Richtlinie darstelle, von der aus wichtigem Grund abgewichen werden darf. Als wichtigen Grund sehe die Vollzugsanstalt X. bezüglich privater Bettwäsche allein medizinisch-allergologische Gründe aufgrund entsprechender ärztlicher Verordnung an. Diese Regelung sei im Hinblick auf Organisationsaufwand, Gleichbehandlung aller Gefangenen und Reduzierung anstaltsinterner Streitigkeiten infolge absichtlicher oder unabsichtlicher Beschädigung auch im Hinblick auf die Interessen Strafgefangener an der individuellen Ausgestaltung ihrer Privatsphäre rechtlich nicht zu beanstanden. Bei Rücknahme der rechtswidrig begünstigenden Genehmigung habe die JVA in nicht zu beanstandender Weise die Wiederherstellung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die Interessen des Strafgefangenen am Fortbestand einer Rechtslage, auf die er sich eingerichtet habe, ermessensfehlerfrei gegeneinander abgewogen. Nachdem dem Strafgefangenen die eingebrachte Wäsche noch nicht ausgehändigt worden sei, könne von einer verfestigten Rechtsposition, auf die er in besonderem Maße vertrauen durfte, nicht ausgegangen werden.

Gegen diesen ihm am 11.01.2001 zugestellten Beschluss legte der Verurteilte am 09.02.2001 zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Landgerichts X. Rechtsbeschwerde ein, rügte die Verletzung formellen und materiellen Rechts und beantragte, den Beschluss vom 03.01.2001 aufzuheben und die JVA X. anzuweisen, jetzt und in Zukunft die Nutzung privater Bettwäsche zuzulassen, hilfsweise die Sache zur erneuten gerichtlichen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht gem. § 118 StVollzG eingelegt. Die Verfahrensrüge wurde zwar nicht gem. § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG in zulässiger Weise ausgeführt. Jedoch wird die Rechtsbeschwerde mit der allgemeinen Sachrüge hinreichend begründet. Das Rechtsmittel ist zulässig, da es geboten ist, die Nachprüfung des Beschlusses zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist aufzuheben.

Die Vorschrift des § 19 StVollzG wurde rechtsfehlerhaft angewendet. Die Vorschrift besagt, dass Strafgefangene grundsätzlich ihren Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten dürfen. Sie konkretisiert den Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 StVollzG, wonach die Freiheit des Gefangenen nur solchen Beschränkungen unterliegen soll, die für den Freiheitsentzug und seine Behandlung notwendig sind (vgl. Calliess/Müller-Dietz, 8.Aufl. 2000, § 19 Rdnr. 2; Schwindt/Böhm, 3. Aufl. § 19 Rdnr. 1). Der Anspruch auf Benutzung eigener Ausstattungsgegenstände wird nicht durch § 83 Abs. 1 StVollzG eingeschränkt. Nach dieser Vorschrift darf ein Gefangener nur solche Sachen in Gewahrsam haben, die ihm von der Vollzugsbehörde oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden. Nach welchen Kriterien die Justizvollzugsanstalt die Zustimmung erteilt oder versagt, richtet sich nämlich nach denjenigen Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes - hier: § 19 StVollzG -, deren Regelkreis von dem Gewahrsam an der jeweiligen Sache, hier des Ausstattungsgegenstandes "Bettwäsche" berührt wird (Calliess/Müller-Dietz a.a.O. § 83 Rdz.1). Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer, der auf § 19 StVollzG abhebt, bringt nicht zum Ausdruck, dass der gerichtlich nachprüfbare unbestimmte Rechtsbegriff "angemessener Umfang" der Bewilligung des Begehrens des Verurteilten entgegenstehen könnte. Der Gesichtspunkt der Angemessenheit bemisst sich danach, was einem Gefangenen zur menschenwürdigen Gestaltung seiner Privatsphäre zukommen muss, aber auch danach, was ihm von den räumlichen Gegebenheiten der JVA zugestanden werden kann (Calliess/Müller-Dietz a.a.O. § 19 Rdnr. 3). Im Fall des Ersetzens anstaltseigener durch private Bettwäsche des Gefangenen steht die Angemessenheit der Maßnahme außer Frage.

Sonach hätte gem. § 19 Abs. 2 StVollzG die Ausstattung des Haftraumes nur verweigert werden dürfen, wenn durch die Gegenstände die Übersichtlichkeit des Haftraumes behindert oder in anderer Weise Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet wären. Insoweit handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die gerichtlich voll überprüfbar sind und die Vollzugsbehörden, aber auch die Strafvollstreckungskammer als gerichtliche Tatsacheninstanz ausfüllen müssen (vgl. OLG Stuttgart NStZ 1988, 574). Bei den - auch die beispielhaft aufgezählte Übersichtlichkeit des Haftraumes mitumfassenden - Begriffen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt ist wie in § 4 Abs.2 StVollzG die Abwehr von konkreten Gefahren für Personen oder Sachen in der Anstalt und die Sicherung der Haft angesprochen (Calliess/Müller-Dietz a.a.O. § 4 Rdz.16). Vorliegend könnte nur - wovon auch die Strafvollstreckungskammer ausgegangen ist - die Gefährdung der Anstaltsordnung zur Verweigerung des Begehrens herangezogen werden. Denn weder die Übersichtlichkeit des Haftraums noch die Sicherheit der Anstalt werden durch Besitz und Nutzung von privater Bettwäsche an Stelle von Anstaltsbettwäsche beeinträchtigt.

Entgegen der Ansicht der Strafvollstreckungskammer ist aber eine Gefährdung der Anstaltsordnung nach der auf vollständig ermittelter Tatsachengrundlage beruhenden Bewertung des Senats nicht zu besorgen. Dem Gleichheitsgrundsatz kann dadurch Rechnung getragen werden, dass allen Strafgefangenen gestattet wird, auf Antrag private Bettwäsche zu benutzen. Offensichtlich haben der von der Justizvollzugsanstalt genehmigte Besitz und das Tragen von Privatkleidung auch nicht zu Unzuträglichkeiten geführt, die die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährden. Da die Bettwäsche ebenso wie Privatkleidung eines Strafgefangenen in einem Wäschenetz zur Wäsche gegeben werden kann, wird die Gefahr der Verwechslung auf ein Minimum reduziert. Wenn der Verurteilte, wie dies bereits für private Kleidung und Unterwäsche gilt, mit seinem Antrag auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen das Land wegen Verlustes oder Beschädigung seiner Bettwäsche verzichtet, sind Regressforderungen gegen die Anstalt aus diesem Grunde ausgeschlossen. Die Benutzung privater Bettwäsche ist nach derzeitiger Handhabung in der Justizvollzugsanstalt X. auf Antrag Untersuchungsgefangenen und bei Vorliegen medizinischer Erfordernisse im Einzelfall auch Strafgefangenen gestattet. Eine Ausweitung des Kreises der Berechtigten bewirkt keinesfalls einen die Leistungsfähigkeit der Anstaltsverwaltung hemmenden organisatorischen Mehraufwand, zumal die Arbeitsbelastung durch Waschen und gegebenenfalls Neuanschaffung anstaltseigener Bettwäsche sich dadurch entsprechend verringerte. Hinzu kommt, dass die Justizvollzugsanstalt X. gemäß Verfügung vom 02.04.1997 dem Gefangenen auch den Besitz und die Benutzung von privaten Hand- und Geschirrtüchern, einer Tagesdecke, einer Tischdecke und eines Gebetsteppichs gestattet. Der Senat vermag keinen Grund für eine andere Behandlung von privater Bettwäsche zu erkennen: Es handelt sich jeweils um Textilien, mit denen der Gefangene körperlichen Kontakt hat und die dazu dienen, in einem Haftraum, in dem er aufgrund des Freiheitsentzuges einen großen Teil des Tages verbringt, eine "private" und wohnliche Atmosphäre zu schaffen.

Auch unter Beachtung des der Vollzugsbehörde bei Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs eingeräumten Beurteilungsspielraums, der sich hier freilich "auf Null" reduziert, kann eine andere Beurteilung als die, dem Begehren nach Benutzung eigener Bettwäsche stattzugeben, nicht in Betracht kommen (OLG Karlsruhe ZfStrVO 1985, 245).

Die angefochtene Entscheidung, die den Verurteilten in seinen Rechten verletzt, ist daher aufzuheben. Da eine Sachentscheidung ohne weitere Aufklärung möglich, die Sache also spruchreif ist, kann der Senat an Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheiden (§ 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG). Zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Ausspruch über die Verpflichtung der Vollzugsbehörde, die beantragte Maßnahme vorzunehmen, ist der Senat gem. § 115 Abs. 4 Satz 1 StVollzG ermächtigt.

3. Auf den weiteren Umstand, dass der Verurteilte auf den Fortbestand der ihm am 18.01.1999 rechtmäßig erteilten Genehmigung vertrauen durfte (vgl. hierzu BVerfG ZfStrVO 1994, 115; StV 1994, 432; sowie zum Fall einer rechtswidrigen Genehmigung OLG Karlsruhe ZfStrVO 1994, 177), kommt es nach dem oben Ausgeführten nicht mehr an.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf §§ 48 a, 13 GKG.

Ende der Entscheidung

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